Source: „Müssen draufhauen und siegen“: In Russland schreckt man vor Atomwaffeneinsatz kaum noch zurück
„Die Menschen sammeln sich um die Führung des Landes und werden dazu immer antiwestlicher“, sagt Leo Gudkow. Der Meinungsforscher leitet das einzige unabhängige Meinungsforschungsinstitut in Russland und beobachtet die Entwicklung seit Beginn des Ukraine-Kriegs ganz genau – und äußert im Interview mit dem Spiegel eine besorgniserregende Erkenntnis.
Kriegsmüde seien die Russen, gleichzeitig aber auch – von der Propaganda mal abgesehen – meist „von jeglichen Informationen abgeschnitten“. Der Ton werde aggressiver, immer häufiger nimmt der Leiter des Lewada-Zentrums laut eigenen Worten folgende Äußerungen wahr: „Ob wir nun im Recht sind oder nicht, wir müssen das bis zum Ende durchziehen, wir müssen draufhauen, siegen – mit allen Mitteln, auch mit dem Einsatz von Nuklearwaffen.“
Wladimir Putin drohte schon zu Beginn des Ukraine-Kriegs mit dem Einsatz von Atomwaffen. Unbestätigten Berichten zufolge plante Russlands Präsident bereits, einen taktischen Atomschlag in der Ukraine auszuführen, konnte allerdings im letzten Moment daran gehindert werden – laut SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich auch dank Kanzler Olaf Scholz. Inzwischen vergeht jedoch kaum eine Woche, in der Putin-Kumpel Dmitri Medwedew dem Westen nicht mit nuklearer Auslöschung droht.
Fakt ist: Der mögliche Einsatz von Atomwaffen schwebt über dem Ukraine-Krieg wie ein Damoklesschwert. Die immer schärfere Rhetorik in Russland besorgt Gudkow. Längst höre man solche Forderungen nicht nur von den Hardlinern, sondern auch teils aus der Bevölkerung.
Aus einer Umfrage des Lewada-Zentrums geht hervor, dass sich „die Toleranz gegenüber einem möglichen Einsatz von Atomwaffen“ im Laufe des Ukraine-Kriegs von 21 auf zuletzt 39 Prozent fast verdoppelt habe. Angesprochen auf eine Erklärung für diese Entwicklung, spricht Gudkow von einer „komplexen, verwirrten Haltung“ der Russen. Die eigene Unzufriedenheit mit der Situation wandele sich nicht etwa in Scham oder Vorwürfe gegen Putin um, sondern in solche Aggressionen. „Es ist wirklich schlimm.“
Ein Frieden wünsche sich eine Mehrheit den eigenen Erhebungen zufolge zwar, doch Frieden bedeute für die Russen quasi eine vollständige Kapitulation der Ukraine. Schon zu Beginn des Interviews spricht der Soziologe davon aus, dass Putins Behördenapparat Druck auf all jene ausübe, die gegen den Krieg sind. „Die Propaganda funktioniert, so schrecklich es auch ist“, so Gudkow.
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